Skitouren und Klettern – zwei Sportarten, die im Wettersteingebirge auf Tirols Hochplateau bei Seefeld ausgezeichnet zueinanderfinden. Ein Tag mit Firn und Fingerleisten hoch oben im Schüsselkar.
Früh morgens am schattigen Parkplatz: solide acht Grad im Minus die Celsiusskala, ein bissiger Wind dazu. Bis die Schnallen der Skischuhe endlich einrasten, fühlen sich unsere Finger an wie steifgefrorene Eisklumpen. Schnell rein in die Bindung, Rucksack schultern, losstapfen. Was etwas schwerer fällt als sonst, denn der Rucksack scheint das Doppelte zu wiegen. Neben Schaufel, Sonde, Thermoskanne haben es sich da drin nämlich noch Expressschlingen, Camelots und ein 60-Meter-Seil gemütlich gemacht. Denn auch wenn es gerade noch komplett unmöglich scheint: Wir wollen heute noch eine Mehrseillängenroute klettern.
Kalter Wind und sonnige Südwände
Aber der Optimismus ist wie so oft der dankbarste Wegbeleiter. „Wenn’s nicht geht, dann haben wir halt einfach eine nette Skitour gemacht“, denken wir uns, als die Hände langsam wieder auftauen – Schmerz lass nach –, landschaftlich ist’s ja ohnehin wunderschön in der Leutasch. Mit jedem Schritt durch den Wald kommen wir der Sonne näher, die Südwände zwischen Schüsselkarspitze und Öfelekopf leuchten mittlerweile verheißungsvoll zu uns herab. Bitte, Wind, lass nach!
Wechsel der Gefühle
Doch nach dem Wald die Sonne – oben am Hochplateau die Erleuchtung, die Jacken wandern in den Rucksack, ohne Schatten fühlt es sich plötzlich nach Frühling an. Je näher wir der Wand kommen, desto mehr verschiebt sich die Gefühlskurve weiter in Richtung Sommer, die Jännersonne steht nun geradezu unbarmherzig im Zenit. Aus der Sorge um kalte Finger wird die Angst, zu wenig zum Trinken eingepackt zu haben, wir sind innerhalb von zwei Stunden durch drei Jahreszeiten gestapft. Aber besser zu warm als zu kalt, so viel steht fest. Wir hecheln weiter.
Hochwinter im Wettersteingebirge
Am Einstieg angelangt, bekommen wir aber doch wieder die Erinnerung, dass eigentlich gerade Hochwinter ist: Die ersten Meter sind im Schnee versunken, und – es hilft nichts – irgendwie müssen wir unsere bemitleidenswerten Füße nun aus den verschwitzten Skischuhen in die engen Kletterpatschen zwängen. Alle zehn Zehen könnten einem einzeln leidtun, aber so ist das mit dem Winterklettern: Geschenkt gibt’s nichts.
Mehrseillängen im Wettersteingebirge
Doch irgendwie werden auch diese Schwierigkeiten gemeistert, das letzte Wasser rationiert und der eigentliche Hauptakt des Tages beginnt: Die Kletterei im wahrscheinlich besten Fels, den Tirol so zu bieten hat. Raue Wasserrillen, griffige Überhänge, knifflige Platten. – Die Route „Phyps“ (7a) am Pantherkopf hat zwar nur sechs Seillängen, dafür ist jeder Meter lohnend. Und tatsächlich, am liebsten würden wir in kurzer Hose klettern, so warm ist es mittlerweile, unsere Ski am Einstieg schauen bald aus wie kleine Zahnstocher im Schnee.
Ein unvergessliches Erlebnis
Doch das eigentlich Gewaltigste an unserer Unternehmung fällt uns dann erst am letzten Standplatz hängend so richtig auf, als wir so gar nichts anderes hören außer unserem eigenen Atem: Die komplette Ruhe und Einsamkeit inmitten dieser winterlichen Traumlandschaft. Rechts das Karwendel, links die Stubaier Alpen, und außer unseren Spitzkehren ist nirgends die Spur eines Menschen auszumachen. Auch wenn uns am nächsten Tag wahrscheinlich der Rücken vom Rucksackschleppen, die Oberschenkel vom Skifahren und die Fingerkuppen vom scharfen Kalk wehtun werden: Solche Tage vergisst man nie.
FACTS:
ski & climb im Wettersteingebirge
Die Südwände des Wettersteingebirges liegen auf einer Höhe von ca. 2.000 m und bieten sich für eine Kombitour perfekt an. Allerdings ist dies nur an sonnigen, windschwachen Tagen mit einer stabilen Lawinenlage („1er“) genussvoll vertretbar möglich!
Jahreszeit: Die typische Zeit für ein ski&climb-Abenteuer ist der Frühling, je nach Schneelage im März und April. Bei einer stabilen Lawinensituation und wolkenlosem Himmel können die Routen aber durchaus auch im Hochwinter in Angriff genommen werden.
Lawinensituation: Gerade die Touren an der Schüsselkarspitze haben zum Wandfuß hin sehr steile Grashänge, was die Gefahr von Gleitschneelawinen erhöht. Bei typischen Firnverhältnissen heißt es dann also sehr früh starten und sehr früh wieder abfahren (grob gegen 11 Uhr), da sich mit der starken Sonneneinstrahlung die Lawinengefahr ab Mittag drastisch erhöht.
Logistik: Es gibt zwei Aufstiegsvarianten zu den Wänden. Entweder über die Rodelbahn (Forststraße) vom Großparkplatz im Gaistal zu der Wangalm/Wettersteinhütte und von dort über offenes Gelände weiter zu den Routen am Hinterreintalschorfen oder Schüsselkarspitze (ca. 2-3 h). Oder, für die östlicheren Routen z.B. wie hier am Pantherkopf, über das Leutascher Puittal, wobei es hier eine potenziell unangenehme, steile Waldstufe zu überwinden gibt (evtl. Ski auf den Rücken und stapfen). Nach dem Wald über flaches, offenes Gelände zu den Einstiegen (zuletzt zum Wandfuß hin oft steil). Bei entsprechend hoher Schneelage ist die Abfahrt über den Graben des Puitbachs möglich.
Literatur: „Alpinkletterführer Wetterstein Süd“, Panico Alpinverlag, 3. Auflage 2016